Dietrich Wildung

Wesens­ver­wandt

„Kunst ist nicht modern, sondern immer.“ Diese unge­wöhn­liche Äußerung des am 17. Mai in Berlin ver­stor­benen Malers und Bild­hauers Johannes Grützke lässt sich auf das künst­le­rische Selbst­ver­ständnis des Staat­lichen Museums Ägyp­ti­scher Kunst beziehen, inhaltlich iden­tisch mit Mau­rizio Nan­nuccis ALL ART HAS BEEN CON­TEM­PORARY, das pro­gram­ma­tisch am Anfang des Rund­gangs durch das Museum steht. Sowohl die Ein­bettung des Ägyp­ti­schen Museums in das Kunst­areal als auch die Öffnung des Museums und seines Vor­felds für die Prä­sen­tation moderner und zeit­ge­nös­si­scher Kunst unter­streichen, daß Johannes Grützkes „immer“ auch für Alt­ägypten gilt.

Dass diese Öffnung des Ägyp­ti­schen Museums zur Moderne nicht immer auf Ver­ständnis stößt, erleben wir an Reak­tionen auf die Skulptur „Present Con­­t­­inuous“ des nier­der­län­di­schen Künstlers Henk Visch, die auf dem Frei­ge­lände vor der HFF steht und ihren roten Gedan­ken­strahl hin­unter sendet in die im Unter­grund lie­genden Räume des Museums.

Die ab Ende Juni inmitten der Dau­er­aus­stellung des Ägyp­ti­schen Museums ste­henden Werke von Isolde Frepoli laden dazu ein, ägyp­tische Skulptur „ohne his­to­ri­schen Ballast“ (Thomas Mann) als nicht zeit­ge­bundene künst­le­rische Form zu betrachten. Die in Savona an der ligu­ri­schen Riviera geborene, seit Jahr­zehnten in Deutschland lebende und arbei­tende Künst­lerin. Meis­ter­schü­lerin der Münchner Aka­demie der Künste, hat bei der Arbeit an ihren Statuen und Büsten nie das alte Ägypten vor Augen; und doch treten die Ana­logien zwi­schen ihren rund­plas­ti­schen Bild­nissen und den Statuen Ägyptens im unmit­tel­baren Neben- und Mit­ein­ander der Prä­sen­tation im Museum unmit­telbar in Erscheinung. Für Alt­ägypten und die Moderne ist diese Begegnung glei­cher­maßen aufschlussreich.

Die oft nackten Frau­en­fi­guren von Isolde Frepoli schaffen um sich einen Raum der Unbe­rühr­barkeit. Der vir­tuelle, unsichtbare Raum, in den diese Statuen gestellt sind, ist ein Spe­zi­fikum der alt­ägyp­ti­schen Plas­tiken. Im Münchner Ägyp­ti­schen Museum macht die Prä­sen­tation der antiken Skulp­turen in großen, weiten Vitrinen mit deutlich sicht­baren Kanten und auf kubi­schen Sockeln diese Raum­hal­tigkeit der Figuren erlebbar. Bei ägyp­ti­schen Statuen ist der Raum, in den sie gestellt sind, ein wesent­liches Bild­motiv, das sich im Rücken­pfeiler und der recht­eckigen Basis arti­ku­liert. Auch Isolde Fre­polis Figuren stehen auf recht­eckigen Basis­platten und beziehen aus ihnen ihre Monu­men­ta­lität. Weder die grie­chische noch die römische Skulptur kennt diese The­ma­ti­sierung des Raumes, und sie findet sich in der abend­län­di­schen Kunst kon­se­quent ange­wendet erst im 20. Jahr­hundert – in den Skulp­turen Alberto Gia­co­mettis, des „ägyp­tischsten“ Künstlers der Moderne, und in den Gemälden von Francis Bacon.

Die Ver­ortung der Statuen von Isolde Frepoli in einem unsicht­baren Kubus ver­leiht ihnen neben einer aus­ge­prägten Monu­men­ta­lität eine strenge Fron­ta­lität. Der Betrachter wird unwill­kürlich in eine Sicht­achse gezogen, die vom Blick der Figur vor­ge­geben ist. Wie vor einer ägyp­ti­schen Statue wird der Betrachter zum Betrach­teten, fühlt sich beob­achtet, kann sich den auf ihn gerich­teten Augen nicht ent­ziehen. Die Inten­sität des dadurch ent­ste­henden Zwie­ge­sprächs zwi­schen Kunstwerk und Betrachter hebt die zeit­liche Distanz zwi­schen Alt­ägypten und heute auf, macht den Dialog zeitlos; die Skulp­turen Isolde Fre­polis und der alt­ägyp­ti­schen Bild­hauer begegnen sich in jenem über­zeit­lichen „immer“, das Johannes Grützke for­mu­liert hat.

Dass Fre­polis Statuen indi­vi­duelle Per­sonen dar­stellen, ist ein wei­terer Bezugs­punkt zur Plastik der Ägypter. Sei es in der Gestaltung der Gesichter oder in den hie­ro­gly­phi­schen Namens­auf­schriften – ägyp­tische Statuen stellen Indi­viduen dar. Die von Isolde Frepoli Por­trä­tierten sind einer­seits in ihrer strengen Haltung der Belie­bigkeit des Augen­blicks ent­zogen, ande­rer­seits in der Aus­prägung ihrer Gesichter höchst gegen­wärtig. Trotz dieser indi­vi­dua­li­sie­renden Note sind diese Figuren nicht rea­lis­tisch. Ihre über­schlanken Körper schaffen ein eigen­stän­diges starkes Frau­enbild – modern und klas­sisch zugleich. Diese Spannung zwi­schen Idea­li­sierung und Indi­vi­dua­lität ist auch in der ägyp­ti­schen Plastik die Grundlage einer über mehr als drei Jahr­tau­sende wäh­renden Leben­digkeit künst­le­ri­schen Schaffens.

Ob wohl sich die Künst­lerin in diesen Gedanken des Ägyp­to­logen wiedererkennt?

Dietrich Wildung, Aus: Maat 2017

Gisela Burkamp

Ganz bei sich

Von Rodin ist uns durch Rilke die Auf­fassung über­liefert, dass für ihn „der Körper aus den Schau­plätzen des Lebens“ besteht, dass er sogar „den Teil­körper als Gestalt­einheit“ nicht nur akzep­tierte, sondern gerade im infinito Voll­endung ein­ge­fangen und wie­der­ge­geben sah, je nach ange­strebtem Resultat. In diesem Sinne „unvoll­endet“ begegnen uns die Bild­nisse von Isolde Frepoli. „Schau­plätze des Lebens“ auch sie, nun in einer ganz anderen, indi­vi­du­ellen for­malen Gestaltung von Per­sonen, die trotz ihrer her­aus­for­dernden, auf­ge­so­ckelten Präsenz und Gegen­wär­tigkeit in einem undurch­drig­lichen Bann­kreis ver­sunken scheinen.

Man darf vor diesen Arbeiten wohl grund­sätzlich davon aus­gehen, dass Isolde Frepoli sich für Men­schen begeistern kann – für Frauen, Männer, Kinder, Weiße, Schwarze, für ihre Beson­derheit, Ein­zig­ar­tigkeit und sehr sub­jektiv gesehene Schönheit. Sie macht in ihrer Zuneigung keinen Unter­schied, aber sie defi­niert den Unter­schied. Dass nämlich trotz der unver­kenn­baren Hand­schrift der Künst­lerin kein Bildnis dem anderen gleicht, liegt im Beob­achten und Auf­spüren der ein­zelnen Per­sön­lich­keiten und – das ist die große Kunst Fre­polis – in der daraus resul­tie­renden for­malen Akzen­tu­ierung der Cha­rak­te­ris­ti­schen Details.

Dabei hat die Künst­lerin sich ent­schieden, nur von wenigen Aus­nahmen abge­sehen, kon­se­quent auf die „Sprache“ der Glied­maßen zu ver­zichten, auf dif­fe­ren­zie­rende Gestik und Haltung, auch auf die Unter­stützung expres­siven mimi­schen Aus­drucks von Emo­tionen und see­li­schen Gestimmt­heiten. Ihre Rund­plas­tiken sind Torsi, redu­ziert auf Kopf, Schulter und/​oder Oberkörper,der je nach von ihr bestimmter Not­wen­digkeit knapp über oder unter der Taille endet „Das Frag­men­ta­rische ist eine Folge der Treue zur Inspi­ration. Wo sie aufhört, ist auch das Werk zu stoppen“, argu­men­tierte Paul Klee.

Diese bewusste und in der jün­geren Kunst­ge­schihte nicht selten getroffene formale Ent­scheidung setzt diese Plas­tiken ab etwa von einer Venus von Milo, deren Glied­maßen vom gewalt­samen Ein­griff der Zeit ampu­tiert wurden, ohne aller­dings das Ideal voll­kom­mener Schönheit zu beein­träch­tigen, bezie­hungs­weise unsere Vor­stellung von einem Ideal unter ganz fal­schen Vor­aus­set­zungen zu schaffen. Für Fre­polis Figuren bedeutet die Reduktion kein Verlust, sondern den Ver­zicht auf formale Umwege, um zur Kern­aussage im Wortsinn vorzudringen.

Die auf das not­wen­digste kon­zen­trierte Kör­per­lichkeit sekun­diert in tra­gender Funktion dem Kopf, dem höchst eigen­willig und pro­non­ciert als Gefäß des Ichs bestimmten Träger von mensch­licher Existenz. Frepoli setzt ihre Büsten streng en face, was ihnen einen gewissen Stolz und Unnah­barkeit ver­leiht, Kühle und Fremde wohl auch zunächst. Wären da nicht die Spuren des Mate­rials, die Farben, ja, und trotz des wie ins Nichts-​Schauens, die Augen.

Isolde Frepoli arbeitet mit Ton, mit einem archai­schen Material also, das die Men­schen früh gestaltet und genutzt haben, das Geschichte in sich trägt, das Zeit spiegelt, das sich in seiner gefü­gigen Kon­sistenz den Händen anbietet. Aber ob unge­brannt oder gebrannt, Ton ist auch ein ding­haftes Äqui­valent für die Fra­gi­lität von Existenz, von Spannung bis zum Zer­reißen, von Durch­läs­sigkeit für äußere Ein­flüsse. Es bedarf höchster Kon­zen­tration und Selbst­kon­trolle und natürlich aus­ge­prägter Mate­ri­al­kenntnis, um im Umgang mit diesem so trü­ge­risch ein­fachen Werk­stoff den eigenen Bauplan umzu­setzen. Bei manchen Büsten macht Frepoli das innere Gerüst ein­sichtig, während sie im übrigen auf deut­liche Spuren der for­menden Hand ver­zichtet, um nicht von den Spuren der jewei­ligen Person abzulenken.

Das sind zum Bei­spiel Schmuck­stücke unter­schied­lichster Art, die Andeu­tungen von Kleidung mit Aus­schnitten, Kragen, Trägern oder die Haar­trachten, die das Antlitz umrahmen und prägen. Frepoli hat hier nicht nur ein sehr altes Material ein­ge­setzt. Sie scheint in ihren Arbeiten auch anzu­knüpfen an Bild­nisse aus dem vor­christ­lichen Grie­chenland, an die „jungen Mädchen“ (Koren) und weib­lichen Stütz­fi­guren (Karya­tiden), wie Funde aus Delphi und Athen nahe legen. Auch ein Sphinxkopf aus Theben, eine der um 540 v.Chr. ent­stan­denen Tanagra-​Figuren, ist erhalten, deren Far­bigkeit sogar die Jahr­hun­derte über­dauert hat. Trotz der detail­lierten Hin­weise auf Kleidung und Frisur wird der Unter­schied zwi­schen mas­ken­hafter Zeit­lo­sigkeit dort und einer „leben­digen“ Moment­auf­nahme bei Frepoli evident.

Die plas­ti­schen Zeit­ge­nossen Fre­polis sind ganz heutige, keine Typen, sondern Indi­viduen ohne Funktion, und gerade letz­teres ist ent­scheidend. Ihre Phy­sio­gnomien sind unver­wech­selbar aus­ge­prägt, obwohl nicht immer in langen Modell­sit­zungen ent­standen, sondern in der Erin­nerung bewahrt, gezeichnet zuweilen, nur aus­nahms­weise durch Foto­grafien unter­stützt wie­der­ge­geben. Trotz des Ein­drucks einer von Zeit und Ver­gäng­lichkeit unab­hän­gigen Makel­lo­sigkeit handelt es sich bei diesen Ant­litzen eben nicht um vir­tuelle Mani­pu­la­tionen aus dem „second life“, sonder n um die Aus­formung von Ein­zig­ar­tigkeit. Was sie so ent­rückt wie anziehend erscheinen lässt, sind die bereits erwähnten und so dominant wir­kenden Augen. Sie sehen an der Künst­lerin, die sie in Farben und Form modu­liert hat, vorbei. Sie ver­weigern sich dem Blick­kontakt mit dem Betrachter. Sie schauen nach außen ins Innen.

Die Distanz zum Sujet, die für den Arbeits­prozess not­wendige Objek­ti­vität vor dem Subjekt weiß Isolde Frepoli bei aller Hingabe an das gestal­te­rische Tun sehr wohl zu wahren. Darum meidet sie das direkte Auge in Auge und schenkt ihren Figuren jenen ima­gi­nären Schutzraum, der den Betrachter von jedem Voy­eu­rismus fernhält. Das hindert ihn nicht, die äußer­lichen Details der Per­so­ni­fi­kation zu erkunden, die Frepoli anbietet und die sie in ihrer ver­meint­lichen Unschein­barkeit gleichsam erhöht hat. Es sind keine Attribute, die Beruf oder Stand ver­raten wie auf den Por­träts der Kunst­ge­schichte und von den Auf­trag­geber ein­ge­fordert, sondern es sind die oft rührend neben­säch­lichen Acces­soires, die in ihrer Unwich­tigkeit Ver­satz­stücke von Indi­vi­dua­lität, von Cha­rak­ter­zeichnung geworden sind. Diese fast erzäh­lende Form gelingt Frepoli besonders bei den Bild­nissen von dun­kel­häu­tigen Men­schen, die in aller Selbst­ver­ständ­lichkeit als sin­guläre Per­sön­lich­keiten wahr­ge­nommen werden, ein Ein­druck, der viel­leicht deshalb so zwingend ist, weil fremde Kul­tur­kreise und Ethnien sich unserem Blick und Ver­ständnis nur schwer erschließen.

Die Inten­sität der Aus­strahlung, die den Betrachter vor den Arbeiten gefangen nimmt, rührt zwei­fellos auch von der Far­bigkeit, die – wie die indi­vi­duelle Phy­sio­gnomie – den Ein­druck zwi­schen leben­digem Abbild und künst­le­ri­scher Pro­jektion mit ästhe­tisch aus­ge­prägtem Eigen-​Sinn wechseln lässt. Erinnern Statur und Torso in Fre­polis Arbeiten an das Figu­renbild, das wir uns heute von antiken Skulp­turen machen, so bleibt es natürlich vollends hypo­the­tisch, deren ver­lorene Far­bigkeit mit diesen matt leuch­teneden Figuren in ihrer por­zel­lanen Emp­find­lichkeit zu vergleichen.

Frepoli arbeitet mit Engoben, einem tra­dierten Ver­fahren, das sie über­zeugend eigen­ständig zu nutzen weiß. Es setzt nicht nur Wissen, sondern immer auch die Bereit­schaft zum Risiko voraus. Als letzte Schicht wird ein Überzug aus mit bei­spiels­weise Metall­oxyden gefärbten Ton­schlamm vor dem Brennen auf die end­gültige Ton-​Fassung auf­ge­tragen. Dabei ist die gewollte Farbe noch nicht erkennbar. Die Künst­lerin weiß um den Wand­lungs­prozess während des Brennens, muss aber immer wieder das Wagnis ein­gehen, dass die che­mische Rea­lität der künst­le­ri­schen Ent­scheidung zuwider laufen kann. Die per­so­nen­ty­pi­schen Variablen in der Ober­fläche von Haut, Kleidung oder Phy­sio­gnomie sind zuvor nicht wie bei Stein- oder Holz­skulp­turen her­aus­ge­schnitten, sondern als erhabene Struk­turen geformt und auf­ge­tragen worden.

Die Farbe unter­streicht in ihrer rauen Sprö­digkeit die ein­drucks­volle Sen­si­bi­lität der mate­ri­al­be­wussten Gestal­tungs­kraft der Künst­lerin, die im übrigen auch bei ihren wenigen Ganz­fi­guren ihre ent­schiedene formale Auf­fassung bei­behält. Kein klas­si­scher Kon­trapost, keine Variante zum bewegten Aus­druck von Stand- und Spielbein, sondern eine Position,wie man sie eben­falls von archai­schen Dar­stel­lungen kennt, mit par­al­leler Fußstell­­ung. Das lebens­große Gegenüber aus getöntem Zement ist ein Bild für das selbst­be­wusste „mit beiden Beinen auf der Erde stehen“, das wie­derum vom Kopf ausgeht, der auch hier – bei aller ganz­heit­lichen, kör­per­lichen Präsenz – indi­vi­du­elles Zentrum ist.

Wann und wo immer Isolde Frepoli ihre Terrakotta-​Bildnisse zeigt, ver­ändert sie Räume, und jede Kon­fron­tation nimmt ganz direkt Ein­fluss auf das betrach­tende Gegenüber. Diese figu­ra­tiven Bild­nisse behaupten ihren Ort in aller Drei­di­men­sio­na­lität und Per­so­na­lität, und man ent­zieht sich der Begegnung nicht durch höf­liche Aus­flüchte. Sie bestimmen den Ton der „Kon­ver­sation“. Sie fordern Respekt ein vor der Unan­tast­barkeit ihrer Existenz und sind gleich­zeitig in ihrer ver­trauten, all­täg­lichen Gegen­wär­tigkeit so offen für alle Ver­suche von Kommunikation.

Als Gäste auf Zeit hat sich eine Gruppe von Frauen, Männern und Kindern – weiß­häutig, dun­kel­häutig – in der ehe­ma­ligen Syn­agoge des Kunst­vereins Oer­lig­hausen nie­der­ge­lassen. Unter dem über hundert Jahre alten hohen Ton­nen­ge­wölbe können sie den Kopf hoch­tragen, ganz bei sich, ohne je hoch­mütig zu wirken. Sie sind nicht eigens für diesen Ort und seine ganz besondere kul­tu­relle und his­to­rische Bedeutung geschaffen worden. Aber sie stehen wie selbst­ver­ständlich dort zwi­schen heute und gestern, Zeit­ge­nossen in einem umfas­senden Sinn, der die Würde des Men­schen ins Zentrum rückt.

Gisela Burkamp, Aus: Isolde Frepoli Bild­nisse 2008, Kerber ART (ISBN
978–3‑86678–183‑2
)

Jean-​Christophe Ammann

Isolde Frepoli

Wie gehen wir mit einer Kunst um, die keinen Fort­schritt zeigt? Tritt sie am Ort? Es gilt die Regel, dass die stilistisch-​formale Ent­wicklung eines Künstlers Grad­messer seiner Krea­ti­vität ist. Was ist, wenn eine Bild­hauerin seit über zwei Jahr­zehnten über die Schönheit eines Ant­litzes oder eines weib­lichen Körpers nach­denkt? Es gibt Staunen und „Staunen“. Die einen staunen über die sich ver­än­dernde Welt, die anderen über das, was sich nicht ver­ändert. Letztlich bleibt der Mensch, was er ist.

Isolde Frepoli schaut. Als Frau ist sie sich selbst und Frauen nahe. Sie schaut, wie eine Frau steht. Tat­sache ist, dass der Körper schaut: auf­merksam geerdet. Im Antlitz schwingt der Körper mit. Die ver­haltene Erotik ihrer Skulp­turen gründet in der Fas­zi­nation der Schönheit. Schönheit in all ihren Schat­tie­rungen, von Authen­ti­zität und Sinn­lichkeit. Es gibt bei Isolde Frepoli keine ideale Schönheit. Wir begegnen Indi­viduen. Herbe, durch­trai­nierte Körper, selbst­be­wusst in Aus­druck und Haltung.

Wer weiß heute noch, wie man skulp­tural einen Körper gestaltet? Es gab Zeiten, da kannte die Vir­tuo­sität keine Grenzen. Aber nicht das Indi­viduum stand im Vor­der­grund, sondern die über­ge­ordnete Idee: eine his­to­risch, alle­go­risch, sym­bo­lisch begründete Begrifflichkeit.

Isolde Frepoli holt die Erfahrung der Ver­gan­genheit in die Gegenwart. Ihre Figuren und Gesichter könnten Namen tragen, weil sie gegen­wärtig sind. Jedoch brauchen sie ein Umfeld: einen Ort. Sie brauchen einen Ort-​der-​Erscheinung! Ob wir uns immer bewusst sind, wie viele Skulp­turen aus der Ver­gan­genheit in einen orts­spe­zi­fi­schen Zusam­menhang ein­ge­bettet waren? Dort ent­wi­ckelten sie eine Aura, gewis­ser­maßen einen Reso­nanzraum, den sie heute nur noch auf qua­li­ta­tiver Ebene besitzen. Manchmal, in einem Museum, denke ich über die Ein­samkeit von Skulp­turen nach. Über Skulp­turen aus dem Mit­tel­alter oder der grie­chisch­rö­mi­schen Zeit. Sie stehen da wie auf einer Party, im schlimmsten Fall, wie bestellt und nicht abgeholt. In meiner Vor­stellung schaffe ich ihnen einen Umraum, ver­weile in der Anschauung oder in der Plötz­lichkeit des Sehens.

Manchmal denke ich, dass die Skulp­turen von Isolde Frepoli unter der Ort­lo­sigkeit darben. Sie finden in ihrer Inti­mität kein Refugium. Aber gerade in dieser Hin­sicht ist die Künst­lerin ihrer Zeit voraus. Denn der Wunsch ihrer Skulp­turen nach einer Ein­bindung ist auch jener, der heute Men­schen bewegt, sich im Bild des Men­schen zu begegnen, der Belie­bigkeit und Ver­schieb­barkeit von Orten Einhalt zu gebieten. Wie stark können ihre Skulp­turen wirken, wie bei­läufig können sie wahr­ge­nommen werden.

Dort, wo sich die Bücher befinden, steht seit einigen Jahren die Büste einer „Nubierin“, 1990 ent­standen. Seit sie dort steht, auf einem Tisch, hat der Raum einen Schwer­punkt. Das leicht erhobene Haupt dieser wun­der­schönen Frau strahlt eine Kraft aus, die macht, dass ich immer wieder vor ihr stehen bleibe. Dieses Antlitz ist stärker als das Licht des Morgens, des Mittags oder des Abends. Mit anderen Worten: Auch unter ver­än­derten Licht­be­din­gungen erlebe ich es jedes mal als einen starken, sinn­lichen Moment. Es ist so gegen­wärtig, dieses Antlitz, so zeitlos, fragend, staunend, ent­rückt. – Danke Isolde.

Jean-​Christophe Ammann, 5. Januar 2006
Aus: Isolde Frepoli Bild­nisse 2008, Kerber ART (ISBN 978–3‑86678–183‑2)

Thomas Kellein

Ausstellungs­­eröffnung im ZIF, 29.10.2006

Meine Damen und Herren,
Zu Anfang ein paar Lebens­daten zu unserer Künst­lerin: Geboren ist sie 1961 im ita­lie­ni­schen Savona, ab 1983 war sie Stu­dentin der Kunst­aka­demie München, seit 1993 lebt sie in Schlangen im Kreis Lippe, also ganz in unserer Nähe. Die letzte größere Aus­stellung mit Katalog fand 2000 im Lip­pi­schen Lan­des­museum in Detmold statt. Rainer Springhorn schrieb damals zu ganz ähn­lichen Ter­ra­kotta Skulp­turen von einem „Gefühl sehn­sucht­voller Ent­rü­ckung“, von „ent­spannter Mimik“, und betonte den „ in die Ferne gerich­teten Blicken aller Figuren“. Martin Damus wies auf die Vor­liebe der Künst­lerin für außer­eu­ro­päische Kul­turen und Ethnien hin. Ich erwähne das, weil es bei Frepoli auch eine größere Zahl von Büsten gibt, die ver­schiedene Haut­farben, Phy­sio­gnomien, Gesichts­be­ma­lungen und den Haar-​und Hals­schmuck von Men­schen ver­schie­dener Kon­ti­nente her­aus­ar­beiten. Diese sind heute nicht ausgestellt.

1999 haben wir Isolde Fre­polis Werk in der Kunst­halle Bie­lefeld gezeigt. Es ging damals in einer Grup­pen­aus­stellung um neun andere Künst­ler­per­sön­lich­keiten der Region, die jeweils ein Œuvre auf­zu­weisen hatte. Isolde Frepoli arbeitet mit einer besonders alten Thechnik, mit far­biger Erde, die mit einem Tonguss, den sog. Engoben, voll­endet wird. Die Angel­sachsen nennen die Technik “Ear­thenware“, wobei das mit „Steingut“ über­setzt wird. Bei uns würde man bei „Ear­thenware“ an gebrannte Ziegeln denken. Fre­polis Technik besteht aber nicht aus der Her­stellung von Ziegeln, es geht vielmehr um die natür­liche Far­bigkeit, um die leichte, direkte Form­barkeit und die Erdnähe des Mate­rials. Sie kennen den Aus­druck „Sein-​Erde“, den ich hier kurz benenne, um die ita­lie­nische Her­kunft der Künst­lerin und ihre offen­kundige Liebe zur Renais­sance zu betonen. Es ist nicht nur die Technik, es ist ins­be­sondere die Bildform der klas­si­schen Büste, die von Isolde Frepoli als Kunstform seit der Antike auf Men­schen von heute über­tragen wird.

Frepoli bildet Men­schen ab, die ihr eine Zeitlang Modell gesessen haben. Danach arbeitet sie alleine weiter, model­liert den Ton auf dem Gerüst, das man auf dem Sockel sieht, bis zu einem Resultat, bei dem es sich um eine ganz alte Form des Bild­nisses handelt. In dieser Kunst steckt von der hand­werk­lichen und kunst­ge­schicht­lichen Dimension her etwas Ritu­elles. Ich behaupte einmal, dass Bild­nisse dieser Art zu den ältesten Kunst­formen über­haupt gehören. Bereits in den alten ägyp­ti­schen Kul­turen, seit dem dritten Jahr­tausend vor Christus, ist die Abformung des Ant­litzes zur Ver­ewigung des mensch­lichen Äußeren eine ganz und gar ver­breitete, zu uns über das Mit­telmeer über­brachte Tra­dition. Die grie­chische und die römische Plastik ist ohne das Bildnis über­haupt nicht vor­stellbar. Der Staat brauchte seine zahl­reichen Por­trät­statuen und Büsten nicht nur zum Ruhm, er ver­stand sie als Selbst­er­haltung. Es ging in den Gebäuden und auf den Plätzen der Antike um die leib­haftige Ansicht aller geis­tigen Stützen und um die ständige Erin­nerung an sie.

Seit der früh­mit­tel­al­ter­lichen Grab­plastik gehört das Bewahren von Ant­litzen der Könige und Fürsten auch in die christ­liche Bild­tra­dition. Wie erinnern uns par­allel dazu an die mit­tel­al­ter­liche Suche und Zur­schau­stellung des Schweiß­tuches der Veronika. Die Idee, Christus einmal in einem echten, wenn­gleich eph­emeren Antlitz zu erkennen, mani­fes­tierte sich über die Jahr­hun­derte vor allem in sehr hoch­wer­tigen künst­le­ri­schen Ver­suchen, die ideale Phy­sio­gnomie unseres Got­tes­sohnes her­aus­zu­ar­beiten. Das alles geschah, um Christus selbst außerhalb von Gebeten in Got­tes­häusern nach Mög­lichkeit visuell erlebbar zu machen. Während Juden und Moslems aus reli­giösen Gründen ver­meiden, sich ein Bildnis zu machen, haben in Europa zuerst die Renais­sance, dann zum Bei­spiel Madame Tussaud und schließlich die Foto­grafie darauf hin­ge­ar­beitet, dem Bildnis ein immer stär­keres Maß an Voll­endung zukommen zu lassen. Die Künst­le­rische Tech­niken mit der Camera obscura, mit Wachs oder mit Sil­ber­ge­latine haben in diesem Sinn wie die Schrift unser gesamtes Vor­stel­lungs­ver­mögen geprägt. Es geht beim Bildnis nicht einfach um Ähn­lichkeit, um das „Treffen“ einer Phy­sio­gnomie und eines Cha­rakters. Wir Europäer haben das Bildnis immer weiter zu einer exzel­lente Kunstform getrieben, weil wir, um Georg Simmel aus einem Buch kurz nach dem Ersten Welt­krieg zu zitieren, an „die Vor­stellung einer Seele“ glauben, die sich an den dar­ge­stellten Formen der Ober­fläche ablesen lässt. Das ideale Porträt, ins­be­sondere das Renaissance-​Bildnis, ver­kündet uns anhand des Indi­vi­duums eine lei­den­schaft­liche Auf­fassung von Einheit, die der Künstler und der Dar­ge­stellte teilen.

Tech­nisch und künst­le­risch ist in unserer Kultur kaum etwas stärker geläufig, als ein mensch­liches Indi­viduum, das zwei- oder drei­di­men­sional, jeden­falls täu­schend ähnlich, mit seinen kul­tu­rellen Requi­siten und in einem authen­ti­schen Umfeld als etwas unver­gleich­liches erlebt werden kann. Das Porträt erfüllt dabei nicht nur eine ungemein hohe Dienst­leistung für die Ange­hö­rigen, die His­to­riker, die Medi­ziner oder von mir aus auch die Kri­mi­na­listen, es wird seit Jahr­hun­derten als eine der höchsten Kunst­formen aner­kannt. Es gibt ein inzwi­schen popu­läres Buch von Martin Warnke mit dem Titel „Hof­künstler“, in dem über­zeugend behauptet wird, dass sich die Künst­ler­schaft, wie wir sie heute kennen, Warnke nennt Namen wie Dürer, Tizian, und Velasquez, gerade durch die Por­trät­kunst inter­na­tional als hof­fähig eta­bliert hat. Es waren die Kai­ser­bild­nisse, die den Durch­bruch des künst­le­ri­schen Standes, der seit eh und je zu den Hand­werkern gehörte, zur Folge hatten. Karl V. warf Tizian den Feh­de­hand­schuh hin, und dieser hob ihn auf – das ist eine his­to­risch bis dahin unge­heu­er­liche Anmaßung, die den Künstler nicht nur geistig, sondern auch mate­riell in die Nähe des Adel rücken liess. Schon gut ein­hundert Jahre später, als Lorenzo Bernini von Louis XIV. nach Paris ein­ge­laden wurde, gab es für Künstler die her­aus­ra­gende Arbeit leis­teten, riesige Emp­fänge, fürst­liche Geschenke und Leib­renten, die in unserer Zeit dis­ku­tiert werden würden wie die Gehälter unserer meist­ge­hassten Manager.

Bis in das späte 19. Jahr­hundert galt das Porträt ein­deutig als exempla vir­tutis, als bei­spiel­hafte Dar­stellung eines Indi­vi­duums, in der sich etwas hel­den­haftes mani­fes­tiert. Es waren nicht nur erin­ne­rungs­su­chende, die sich mit einem der­ar­tigen Antlitz beschäf­tigen. Alle sollte erfahren, wer und was sich hinter einem solchen Gesicht verbarg. Die tech­nisch voll­endetste und jüngste Por­trät­kunst ist heute der Film. Denken wir dabei nicht allein an die fil­mi­schen Por­träts, die Künstler vom Range Picassos den Men­schen näher bringen. Es sind alle Filme, nicht nur Ver­fil­mungen von Lite­ratur, in denen die Haupt­dar­steller hap­tisch wirken, um zu uns als Helden zu sprechen und uns zu zeigen wie wir handeln sollten.

Je mehr ich mich mit dem ganzen Komplex der Por­trät­plastik und Por­trät­ma­lerei beschäf­tigte, desto weniger scheint mir Isolde Frepoli in einer zeit­ge­nös­si­schen Por­trät­tra­dition zu stehen. Ihre Büsten auf den immer gleichen braunen Holz­so­ckeln zeigen Köpfe, deren Kinn leicht nach oben und deren Augenpaar relativ starr gera­deaus gerichtet ist. Nichts Äußeres scheint diese Köpfe abzu­lenken. Die Kinder spielen nicht, die Frauen schauen nicht, die Männer lachen oder weinen nicht. Es geht jedoch von allen Dar­ge­stellten eine gewisse Fei­er­lichkeit aus. Das hat zunächst seinen Grund darin, dass es weder Halb- noch Drei­vier­tel­profile, sondern durchweg Spie­gel­por­träts mit einer relativ unbe­wegten Gesichts­ober­fläche gibt. Durch die helle Haut, oftmals ist sie weiß, und durch den far­bigen Haar­schmuck wirken die Por­träts selbst bei Phy­sio­gnomien von Schwarzen grund­sätzlich hell. Es gibt keinen kom­po­si­to­ri­schen Anlass, in den Dar­ge­stellten jeweils etwas grüb­le­ri­sches, etwas Dunkles oder etwas Melan­cho­li­sches zu sehen. Das Melan­cho­lische offenbart sich höchstens in der Wie­der­holung, in einem Ver­zicht auf ein Drama, das Ort oder Zeit erkennen ließe.

Frepoli por­trä­tiert im Grunde alle Wesen gleich. Ein Kind wie der „Buddha“ erscheint ähnlich mas­kenhaft wie eine alte Dame oder ein feiner Herr. Es gibt trotz der Technik und der Farbe keine ganz aus­drück­liche Erd- und keine Him­mels­be­zo­genheit. Es gibt keinen Impres­sio­nismus und keinen Expres­sio­nismus im Mie­nen­spiel. Fre­polis Por­trätwelt erscheint statt­dessen als eine klare Sammlung. Die Men­schen, die sie dar­stellt, sprechen nicht zu uns, und sie sprechen auch nicht mit­ein­ander. Die Köpfe stehen statt­dessen als Sammlung von Dar­ge­stellten auf ihren Sockeln mit den Gerüsten aus Ton. Ich habe mir überlegt, dass diese Per­sonen womöglich Diener der Werte der Künst­lerin sind. Sie sind, wie man das ange­sichts der grie­chi­schen und römische Plastik sagen kann, „Rang­por­träts“ und in einem finalen Sinn „End­por­träts“. Wer sich von Isolde Frepoli abbilden lässt, kann sich auf­grund ihrer sta­ti­schen Bild­auf­fassung nicht mehr, wie wir das als unsere „Selbst­ver­wirk­li­chung“ erträumen, groß­artig ent­wi­ckeln. Es geht über­haupt nicht darum, dass wir womöglich älter, fal­tiger, kan­tiger oder häss­licher werden oder es bereits sind. Es geht nicht um unser Lie­bes­leben oder unseren Alko­hol­konsum. Weder unsere Part­ner­schaft, noch unsere Ängste, noch Sorgen stehen auf dem Pro­gramm. Mann und Frau werden bei ihr eigentlich immer zur Statue. Ich habe ein Zitat zu dieser Arbeit ent­deckt:
„Mit fei­er­licher Klarheit und Stille treten sie vor geistlich-​weltliche Ord­nungen, die dem Men­schen jen­seits der schwan­kenden Sinnen- und See­lenwelt seinen Rang, seinen Wert zu teilen.“

Dieses Zitat stammt jedoch aus einem Buch von Ernst Buschor über „Das Por­trait. Bild­niswege und Bild­niss­stufen in fünf Jahr­tau­senden“, München 1960, S. 144. Es bezieht sich auf ein spät grie­chi­sches Grup­pen­por­trait auf Glas, dass die drei Mit­glieder einer Familie anhand ver­schie­dener Gewänder und Schmuck­stücke an Hals und Ohren kenntlich macht. Frepoli ist eine Künst­lerin die mit ihrer außer­ge­wöhn­lichen Kunst so etwas wie eine per­sön­liche Ordo beschwört. Das ist heute, seit 1993 ist sie unter uns tätig, einer­seits ein­zig­artig. Ande­rer­seits denken sie zum Bei­spiel an die Por­trait­fo­to­grafien von Thomas Ruff, an die vielen ritu­ellen Formen von Kunst um uns heute, bei­spiels­weise On Kawara, der Tages­daten auf­schreibt, oder an die inter­na­tional gängige Praxis, über Jahre hinweg ganze Bild­zyklen zu erschaffen, dann steht die all­ge­meine Ord­nungs­suche von Künstlern heute im Vordergrund.

Zu Fre­polis Ordo gehört, dass die dar­ge­stellten Köpfe von ihren Körpern von ihrer Umgebung abge­schnitten sind. Sie stehen, um einen Ver­gleich mit der Malerei anzu­stellen wie Tafel­bilder auf Gold­grund, denn sie stehen ganz ohne Land­schaft und ohne Inte­rieur vor uns. Die Archi­tektur im ZIF, ich nenne das hier einmal vor­sichtig eine Mischung aus einer Cafe­teria, einem Foyer, einem Durchgang und irgendwo viel­leicht einem Aus­stel­lungsraum, die Archi­tektur lässt deutlich erkennen, dass diese Kunst mit ihrer Zeit nicht ohne wei­teres koope­riert. Isolde Fre­polis Arbeit gehört von ihrer Kon­sti­tution her eigentlich in einer Kirche oder in ein Museum, an einen Ort, an dem in erster Linie Ruhe, Unauf­ge­regtheit und das Pflegen von Tra­di­tionen angesagt sind. Solche Kirchen und Museen gibt es aber nur noch selten. Ich sehe in den Büsten hier im ZIF Votiv­bilder, wobei ich nicht weiß, wer außer ihr das Gelübde aus­ge­geben hat. Ich weiß auch nicht, wie es heißt. Ohne der Künst­lerin zu nahe treten zu wollen, würde ich sagen, dass es um das Gelübde geht, aus jedem Dar­ge­stellten Men­schen in erster Linie ein Kunstwerk, ein ewiges Kunstwerk zu machen.

Lassen sie mich zum Schluss einen all­ge­meinen Gedanken zum Porträt vor­tragen. Die reiche Geschits­schreibung zu den Por­träts, die Eigenart und Würde des Dar­ge­stellten betont, hat von Jacob Bur­ckhard bis zu John Pope- Hen­nessy im Bildnis eine Kul­tur­ge­schichte gesehen. Die Dar­ge­stellten haben niemals nur ihre indi­vi­du­ellen Eigen­schaften, sondern immer auch die Phy­sio­gnomie ihrer jewei­ligen Epoche mani­fes­tiert. Ein gutes Bildnis, ob bei Dürer oder bei Tizian, ist der spre­chende Aus­druck eines Zeit­alters. Diese Aufgabe hat das Bildnis in der Moderne zum großen Teil ver­loren. Zum einen resul­tiert das aus der Foto­grafie, zum anderen aus der über­bor­denden Vielfalt sich bewe­gender Bilder. Die Künstler selbst haben bereits seit Goya an Bild­nissen gear­beitet, die ihrer­seits die alte, kon­ven­tio­nelle Statik
ver­missen lassen.

Was wäre, wenn man so fragt, die „Kultur“ in den Bild­nissen von Isolde Frepoli? Nach der Jahr­hun­derte über­span­nenden Dekon­struktion des Sub­jekts, die in der Moderne von Cézanne über Picasso bis zu den Bild­nissen Warhols reicht, der sich für Por­trät­auf­träge von unzäh­ligen Reichen hat bezahlen lassen, steht Isolde Frepoli zufolge so etwas wie eine Zeit der ide­al­ty­pi­schen Exis­tenzen an. Nicht der Mensch ist wei­terhin das Para­digma für die Kunst. Die Kunst, eine besonders besonnene, sta­tische, unab­än­der­liche Kunst, wird hier vielmehr das Para­digma für den Men­schen. Wenn man Fre­polis bild­ne­rische Ansatz folgt, sind ihre por­trä­tierten im Unter­schied zu uns von Antrieben, Affekten, Tem­pe­ra­menten ganz zu schweigen von einem indi­vi­du­ellen Cha­rakter, den es früher unbe­dingt dar­zu­stellen galt, ziemlich frei. Die Por­trä­tierten geraten so in einen künst­le­ri­schen Bann des Immer­gleichen. Sie rücken trotz ihrer Ähn­lichkeit mit sich selbst unter einen ästhe­ti­schen Schleier, in dem zum Bei­spiel die feinen Nasen­flügeln, die leicht geschürzte Lippen und die hellen Farben eine skulp­turale Aura bilden, mit der man seinen ästhe­ti­schen Platz in der Welt, eine ephimere Denk­mal­haf­tigkeit, erlangt.

So scheint es hier um einen bild­ne­ri­schen Ansatz zu gehen, der das heutige Indi­viduum einer Art grie­chi­schen Polis bei­wohnen lässt. Trotz der empi­ri­schen Gesichter erscheinen mir die Köpfe von Isolde Frepoli als Teil einer noch weiter les­baren Uni­ver­sa­lität, deren Fernziel und deren Grundlage wir heute Vor­mittag viel­leicht nicht gänzlich aus­machen können, es sei denn, die Künst­lerin gibt uns nun anschließend noch ihrer dies­be­züg­lichen Ideen preis.

Thomas Kellein

Martin Damus

Zu den Terra­­kottabüsten von Isolde Frepoli

Das Bild der Frau steht im Zentrum von Isolde Fre­polis künst­le­ri­schem Schaffen, und farbig gefasste Ter­ra­kot­tabüsten von Frauen nehmen darin einen breiten Raum ein. In diesen gestaltet die Künst­lerin ihre Vor­bilder in der ihnen je eigenen Würde und Selbst­be­wusstheit. Das zeichnet gerade auch die Büsten von Vor­bildern außer­eu­ro­päi­scher Ethnien und uns fremder Kul­turen mit ihren Bema­lungen, Täto­wie­rungen und ihrem Schmuck aus. Nie hat die Künst­lerin das Bestreben, ihr Vorbild der künst­le­ri­schen Gestaltung unter­zu­ordnen, vielmehr geht es ihr darum, der Per­sön­lichkeit, dem je eigenen der Por­trai­tierten Aus­druck und Form zu ver­leihen. Diese Kunst­wollen wird auch an den Büsten von Frauen und Männern außer­eu­ro­päi­scher Kul­turen und Etnien, bei denen sie sich offen­sichtlich besonders für Gesichts­be­ma­lungen, Haar- und Gesichts­schmuck inter­es­siert, deutlich. Für mit­tel­eu­ro­päische Betrachter tritt hier das Fremd­artige, das eth­nisch und kul­turell Besondere in den Vor­der­grund und über­blendet das indi­vi­duell Besondere, das man an den Por­trait­büsten mit­tel­eu­ro­päi­scher Frauen ganz selbst­ver­ständlich wahrnimmt.

In ihrer Gesamtheit ver­mitteln die Büsten von Isolde Frepoli, die sich auf kul­turell und eth­nisch so unter­schied­liche, geo­gra­phisch weit von ein­ander ent­fernte Vor­bilder beziehen, das Bild eines kul­tu­rellen Uni­versums, einen Blick auf die Welt als glo­bales Dorf. Kul­tu­relle und eth­nische Vielfalt sind heute all­ge­gen­wärtig und ferne Länder nah dank welt­um­span­nender Medien- und Infor­ma­ti­ons­systeme, dank Glo­ba­li­sierung. Doch bei den Ter­ra­kot­tabüsten handelt es sich nicht um flüchtige Reise-​oder ungreifbare Fern­seh­bilder, nicht um ent­ma­te­ria­li­sierte und ent­in­di­vi­dua­li­sierte vir­tuelle Welten, sondern um plas­tisch mate­riale Kunst­ob­jekte von kör­per­licher und aus­drucks­mä­ßiger Unmit­tel­barkeit. Die Büsten blicken ihre Betrachter aus weit geöff­neten Augen an bzw. durch sie hin­durch. Der so lebendige wie starre Blick unter­streicht die gegen­ständ­liche Unmit­tel­barkeit und eigen­artige Form von Leben­digkeit der sehr ver­schie­den­artig plas­tisch durch­ge­bil­deten und farbig gefassten, mittels Sockeln auf „natür­liche“ Höhe gebrachten, lebens­großen Büsten.

Unmit­tel­barkeit und Leben­digkeit sind nicht wie bei Duan Hanson das Ergebnis einer Nach­bildung, sondern einer aus­ge­prägt plastisch-​materialen Gestaltung des Vor­bildes in Ton. Ganz im Unter­schied zu Hansons frap­pierend lebendig wir­kenden Abgüssen lebender Per­sonen mit ihrer ori­gi­nalen Kleidung bringt Isolde Frepoli in ihrer dem Material ange­mes­senen und der Tra­dition far­biger Plastik ver­pflich­teten Aus­führung das ver­wendete Material, den Ton, künst­le­risch zur Geltung. Dazu gehört auch, dass sie die Büsten nicht wie Abgüsse nach der Fer­tig­stellung bemalt, sondern in der Schluss­phase des Model­lierens mit far­bigem Ton, Engobe, arbeitet (Engoben erhalten erst durch das Brennen ihre end­gültige Farbe). Das Model­lieren und die Arbeit mit der Farbe fließen in einem Arbeits­prozess zusammen, Form und Farbe bilden eine unlösbare Einheit. Die Por­trait­büsten der über­wiegend jungen Frauen wirken auf den ersten Blick ver­blüffend lebendig. Die Gesichter sind bis in Details fein durch­mo­del­liert, ihre Ober­flächen wie die von Hals, Brust- und Schul­ter­ansatz geglättet. Alles, Mund, Nase, Augen, Augen­brauen usw., scheint korrekt nach­ge­bildet zu sein, und noch der Schmuck, ein kleiner Ring in der Nase, ein andere durch die Unter­lippe, tritt plas­tisch und farblich real in Erscheinung. Daran, dass sich Haut, Lippen, Augen, Haare, Bekleidung usw. farblich und in der plastisch-​materialen Durch­bildung von­ein­ander abheben, wird die malerisch-​plastische Gestal­tungs­weise von Isolde Frepoli deutlich. Das Plas­tische als solches, die „reine“ Plastik, inter­es­siert sie nicht. Sie meidet vielmehr die Kälte der in Bear­beitung und Farbe ein­heit­lichen „Reinheit“ der Plastik und ver­mittelt gerade mittels unter­schied­licher Bear­bei­tungs­tech­niken, Ober­flä­chen­struk­turen und Farben den Ein­druck von unter­schied­licher Stoff­lichkeit, von Haut, Haaren, Stoff usw.

Auf diese Weise gestaltet Isolde Frepoli ganz indi­vi­dua­li­sierte, von der dar­ge­stellten Person her bestimmte Büsten. Diese haben jedoch nichts mit natu­ra­lis­ti­schen Pan­op­ti­kums­fi­guren zu tun, weil die Künst­lerin nie das Material und seine spe­zi­fische Bear­beitung über­spielt. Immer bleibt sichtbar, dass es sich um Ton handelt, auch daran, dass und wie sie den Ein­druck von unter­schied­licher Stoff­lichkeit mittels unter­schied­licher Ober­flä­chen­struk­turen und Bear­bei­tungs­weisen erzielt. Immer kommt die mate­riale Beschaf­fenheit der Por­trait­büsten darin zur Geltung, dass ihr Ent­stehen und Her­aus­wachsen aus der form­losen Masse des bild­samen Tons nach­voll­ziehbar bleibt.

So hat Isolde Frepoli bei „Joki“, „Fran­zisca“ u.a. den sicht­baren Teil des Kleides grob model­liert und nicht die Ober­fläche, die Struktur des Klei­dungs­stückes malerisch-​plastisch her­aus­ge­ar­beitet. Bei anderen Büsten (z.B. „Renée“) gehen fein model­lierte, weit­gehend geglättete Gesichts‑, Kopf- und Kör­per­formen nach unten zu unmerklich über in eine grobe, die Mate­ria­lität des Tons her­vor­he­bende, form-​unbestimmte Gestaltung bzw. in die grobe Form und raue Ober­fläche des stüt­zenden Sockels (u.a.„Verona“ und „Ann-​Marie“) oder aber brechen buch­stäblich ab und legen den grob model­lierten, archi­tek­to­nisch geglie­derten Sockel bloß (u.a. „Pinar“). Die plas­tisch amorphe Masse des feuchten Tons regt die Künst­lerin zu einer Gestaltung und Arbeits­weise an, bei der die Grenze zwi­schen dem Unge­formten und dem gegen­ständlich Durch­ge­formten fließend ist oder aber gerade als Bruch­stelle sichtbar gemacht wird.

An den Büsten von Men­schen außer­eu­ro­päi­scher Kul­turen scheint das indi­vi­duell Per­sön­liche hinter das kul­turell bzw. eth­nisch Besondere zurück­zu­treten. Das bewirkt allein schon das Anders­artige von Haut­farbe, Gesichtsform, Nase usw., noch aus­ge­prägter eine Gesichts­be­malung oder ein Kopf und Gesicht über­for­mender Schmuck. Der Blick von Euro­päern auf diese Büsten und ihre Vor­bilder ist getrübt. Auf­grund ihrer Anders­ar­tigkeit, ins­be­sondere des in den Vor­der­grund tre­tenden Kopf- oder Haar­schmucks, der Bemalung oder Täto­wierung, die auf Isolde Frepoli eine große Anzie­hungs­kraft ausüben, ver­mögen sie an deren Gesichtern das indi­vi­duell Besondere, das Per­sön­liche nicht oder nur mit Mühe zu erkennen.

In den modernen Indus­trie­ge­sell­schaften passen sich die Frauen Schmuck, Frisur und Make-​up – von der Mode abhängig – indi­vi­duell an. Der Schmuck, der Kopfputz und die Bemalung der Men­schen, die Isolde Frepoli als Vor­bilder für ihre Büsten aus­ge­wählt hat, sind dem­ge­genüber kul­turell und rituell bedingt, stam­mes­ab­hängig und stan­des­gemäß. Das macht das oft Mas­ken­hafte, von der betref­fenden Person als Indi­viduum Unab­hängige von Schmuck und Bemalung aus. Auch des­wegen wird von Betrachtern, die mit den eth­ni­schen Beson­der­heiten und der Kultur der Men­schen nicht ver­traut sind, nur das Fremd­artige und dies oft auch noch als Defor­mation wahrgenommen.

Wer es nicht bei der bloßen Zur-​Kenntnis-​Nahme dieser Büsten belässt, ent­deckt auch an ihnen das Indi­vi­duelle und Per­sön­liche, das von der kul­turell und rituell geprägten, stam­mes­ab­hän­gigen und stan­des­ge­mäßen Schmü­ckung nur über­lagert wird. Per­sön­lichkeit und Indi­vi­dua­lität ent­falten sich auch im Rahmen einer ver­bind­lichen Kultur, Ordnung, Gemein­schaft. Dieses span­nungs­reiche Zusam­men­spiel von Indi­vi­dua­lität und Per­sön­lichkeit auf der einen und vor­ge­ge­benen Struk­turen und Rollen, die hier in Bemalung und Schmuck ihren Nie­der­schlag finden, auf der anderen Seite bringt die Künst­lerin in den Ter­ra­kot­tabüsten von Men­schen außer­eu­ro­päi­scher Kul­turen und Ethnien zur Anschauung und zum Ausdruck.

Das gelingt ihr, weil sie diese nicht als anonyme Träger von Bemalung und Schmuck, nicht als cha­rak­te­ris­tische Bei­spiele für eine Ethnie, eine Kultur oder einen Brauch abformt. Sie macht sich vielmehr von ihnen, nicht anders als bei der Arbeit an Por­trait­büsten von Men­schen, die sie per­sönlich kennt, ein Bild. Auf dieses Bild von dem Men­schen lässt sie sich ganz ein und ver­leiht ihm in der Ter­ra­kot­tabüste seine ihm je eigenen Züge. Damit sind die indi­vi­duelle Würde und die Selbst­be­wusstheit der Vor­bilder von Isolde Frepoli, von Bemalung, Täto­wierung, Schmuck lediglich über­spielt, immer präsent.

Dr. Martin Damus, Apl. Prof. für Kunst­ge­schichte an der Uni­ver­sität Osna­brück, aus dem Katalog: „Köpfe“, Lip­pi­sches Lan­des­museum Detmold, 2000 (ISBN 3–9806765-1‑X)